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10. April 2012

Gymnasiasten erleben Tagebücher als Zeitreise

Im Deutschen Tagebucharchiv am Emmendinger Marktplatz begegnet die heutige Generation früheren Zeiten und Schicksalen.

  1. Tutor Moritz Schulz im DTA mit Neomi Klingberg und Clara Kassian Foto: Lara Charmeil

EMMENDINGEN. "Hier werden uns ganz andere Perspektiven vermittelt." Daniel Reuland ist begeistert. Der junge Mann befindet sich im Deutschen Tagebucharchiv (DTA) und engagiert sich als Tutor eines besonderen Projektes. Normalerweise studiert er Philosophie und Kognitionswissenschaften an der Freiburger Universität. Doch im Dachgeschoss des alten Rathauses am Marktplatz hilft er Schülern, sich mit vergangenen Schicksalen zu beschäftigen. Dies erfolgt im Rahmen des von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützten Lernprojekts "Zeitreisen – Alltag und Erfahrung in historischen Ego-Dokumenten". Schüler der Klassenstufen neun bis zwölf erforschen Lebenswelten von gestern und durchstöbern historische Quellen.

Der wissenschaftliche Umgang mit Texten ist üblicherweise als Meisterübung von Studierenden bekannt. Sie gehen in die Bibliothek, suchen sich wissenschaftliche Veröffentlichungen aus und lesen sich für ihre nächste Hausarbeit ein. Nun lernen diese Arbeitsweise auch schon Schüler – auf etwas andere Art und Weise und an einem für Deutschland einzigartigen Ort. Das DTA sammelt persönliche Schriften, große, kleine, verblasste, verwischte, kräftige, und zum Teil auch transkribierte. Der Zugang der Gymnasiasten zu den persönlichen Erinnerungen ist Ergebnis eines Konzepts, das die baden-württembergische "Gleichwertige Fragestellung von Schülerleistungen" angestoßen hat. Das Projekt animiert sie in Vorbereitung auf das mündliche Abitur, ein eigenes Thema aufzubauen und zu präsentieren. Von der Zusammenarbeit zwischen dem Tagebucharchiv und dem Freiburger Husserl-Archiv – mit den beiden Historikern und Projektleitern Jörn Leonhard und Hans-Helmuth Gander – profitieren das Emmendinger Goethe- Gymnasium, das Denzlinger Erasmus- Gymnasium, das Freiburger St. Ursula- Gymnasium sowie das Albert-Schweizer-Gymnasium aus Gundelfingen.

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Neomi Klingberg (Goethe-Gymnasium) beugt sich über die schräge kleine schwarze Handschrift in einem alten Heft. Sie ist dabei, sich in ein Tagebuch aus dem Zweiten Weltkrieg einzuarbeiten. "Es ist total interessant mitzukriegen, was die Menschen damals gefühlt haben", findet sie. Es sei wichtig, dass "das Empfundene nicht verloren geht". Ihre Freundin Clara Kassian entziffert die Kritzeleien eines in Kriegsgefangenschaft geratenen Soldaten.

Vier Tutoren betreuen die Schüler innerhalb von Plenumsrunden und individuellen Sprechstunden. Daniel Reuland erklärt, wieso die Arbeit so spannend ist: "Wir bekommen einen vollkommen anderen Blick auf die Geschichte". Die Historie ist hier direkt mit Lebensgeschichten, Gewohnheiten und Problemen des Alltags verflochten. Anders als in Studien und Geschichtswerken wird der Zeitgeist einer Epoche auf einer persönlichen Ebene deutlich. Das sei "einer der Gründe, warum die Schüler hier so motiviert mitmachen". Auch seinem Kollegen Patrick Todt hat das Projekt "sofort Spaß gemacht". Er studiert Geschichte, Philosophie und Englisch.

Die Stimmung im Raum ist angenehm und locker, eine wohl dosierte Mischung zwischen konzentrierter Arbeit und ein paar Tropfen Humor. Tutor Moritz Schulz arbeitet als Journalist bei TV-Südbaden und weist im DTA auf die "kreative Herangehensweise an die Originalquellen und Schriften" hin. Gut sei auch die Möglichkeit, die Arbeit auch einmal etwas anders als gewöhnlich zu präsentieren: "Es bleibt den Schülern überlassen; sie können am Ende zum Beispiel auch ein fiktives Radiointerview gepaart mit einem Reisebericht vorstellen", verdeutlicht der Journalist. "Den Schülern stehen die gesamten Werke zur freien Verfügung", ergänzt Daniel Reuland und amüsiert sich: "Ich betreue auch drei Jungs, die sich mit Schriften zur sexuellen Revolution 1969 auseinandersetzen".

Dieses bisher einmalige Projekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt. DTA-Geschäftsführer Gerhard Seitz begrüßt diese Zusammenarbeit ganz besonders: "Solche Projekte geben unserem Tagebucharchiv Resonanz. Es ist schön, wenn wir unsere Arbeit auch Jüngeren vermitteln können".

Am 18. Juli stellen Schüler und Tutoren bei der Abschlussveranstaltung in der Universität in Freiburg ausgewählte Endergebnisse vor. Das lässt den Gymnasialen noch einige Zeit, um in vergangenen Lebenswelten einzutauchen.

Autor: Lara Charmeil


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